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Job Projekte #4                                  Automatischer Chemiker Robobert V2.0

Job Projekte #4 Automatischer Chemiker Robobert V2.0

Vorgeschichte:

Dieses Projekt ist wohl eines der kompliziertesten und nervenaufreibensten, dass ich bis jetzt in meiner beruflichen Laufbahn durchführen durfte oder musste. Das Ganze startete damit das wieder ein Einsparungspotential bei uns in der Firma gesucht wurde. Dabei viel das Augenmerk auf meinen Kollegen Robert, der unter anderem auch die Vorbehandlungsanlage der Lackierung mit betreut und wartet, denn wir als Instandhalter sind eigentlich nur ein Kostenfaktor für das Unternehmen. Bevor sie mit dem Wunsch der „Modernisierung“ , also der Kosteneinsparung an mich heran getreten sind, haben bereits 3 Firmen dieses Projekt abgelehnt mit der Aussage das eine Automatisierung nicht möglich sei. Diesen Umstand hatte ich erst später erfahren nachdem ich es für ein interessantes Projekt gehalten habe und zugesagt habe es zu machen bzw. zu versuchen.

Worum es dabei geht:

Um etwas Verständnis für die Sache zu schaffen möchte ich mal beschreiben wie die ganze Vorbehandlung eigentlich funktioniert. Es handelt sich dabei um einen Waschtunnel der in 4 Sektionen unterteil ist, durch den die Teile mit einer automatischen Hängebahn durchgefördert werden und je nach Vorgabe chemisch behandelt werden. Das erste Becken enthält ein Chemikalienmischung zum Entfetten, das Zweite ist mit einer Lösung zum Phosphatieren gefüllt und dann kommen noch 2 Spülkammern wobei bei der letzten noch ein Korrosionsschutz mit eingeimpft wird.

Kommunikation und die vereinfachte Aufgabenstellung … :

Wenn mir von Anfang an alles genau beschrieben worden wäre was genau zu machen ist, welche Parameter einzuhalten sind usw. hätte ich mir eventuell leichter getan oder die Finger davon gelassen. Zuerst hat es geheißen bei den ersten zwei Becken ist Leitwert und PH-Wert zu messen ist und Chemie bei Becken 1 und 2 nachgepumpt werden muss. Also hatte ich schon einen Plan geschmiedet, Angebote eingeholt und Komponenten bestellt. Dann kamen die nächsten Besprechungen und Schritt für Schritt kam die Wahrheit über das ganze Ausmaß über die Probleme und Wünsche ans Licht.

Die wahren Anforderungen:

Lasst uns mal Becken für Becken durchleuchten:

Entfettungsbecken: PH-Wert und Leitfähigkeit sowie Temperatur sind zu messen, die Nachfüllmenge der Chemie wird über einen Titrationsvorgang bestimmt, was bedeutet die Probe ist zu ziehen, zu verdünnen, mit einem Indikator & Aktivator zu vermischen und die Titrationschemie wird so lange eingetropft bis die Farbe in der Probe umschlägt. Wir reden also von Mengen im Milli und Mikroliterbereich die da zu verarbeiten sind. Eine fertige Sensorik um die Chemiebedarf anders zu ermitteln gibt es nicht. Na bravo!

Phosphatierungsbecken: PH-Wert und Leitfähigkeit sowie die Konzentration der Chemie sind zu bestimmen und dementsprechend nachzudosieren. Es sind 2 Chemikalien die im richtigen Verhältnis einzuimpfen sind. Klingt eigentlich ganz einfach….. ha ha ha ha. Bis dahin wurde die Gesamtsäure und der PH-Wert gemessen bzw. im Labor bestimmt und je nach dem mehr oder weniger nachgekippt. Also gabs auch hier keine einsetzbare Sensorik um das Ganze zu Messen, geschweige denn mit „Gefühl“ nachzudosieren.

Spüle 1: War bis auf den Bakterienbefall ganz einfach zu managen, es werden nur PH-Wert und Leitwert erfasst.

Spüle 2: Ebenfalls waren hier PH & Leitwert zu erfassen und je nach zugeführter Frischwassermenge sollte der Korrosionsschutz hinzugefügt werden.

Also ihr seht, das Ausmaß wurde immer immer größer, die Probleme und Unsicherheiten immer mehr und auf dem Weg sollte noch einiges technisches und zwischenmenschliches an Problemen hinzukommen.

Mein Lösungsansatz:

Da es also so gar nichts Fertiges gab, musste also wirklich was neues entwickelt werden. Um das Gehirn der ganzen Anlage zu realisieren habe ich in erster Linie auf eine S7-1500 SPS und einen Siemens IPC gesetzt. Diese Kombination ermöglicht mir alle möglichen Kombinationen aus Hard und Software.

Was das Nachpumpen der einzelnen Chemikalien aus den Kanistern angeht habe ich mich für GammaX Dosierpumpen von Prominent entschieden, da diese über einen ProfiNet-Anschluss verfügen. Mit denen hab ich mich gleich mal als erstes ins Knie geschossen, weil der verfügbare Baustein nicht für die 1500er zu verwenden war und ich mir da selber einen schreiben musste. Die Pumpen gestalteten sich wie man es so schön sagt als widerspenstig. Es erforderte etwas an Zeit um heraus zu finden wann welches Bit gesetzt werden musste und welcher Wert wann und wohin zu schreiben ist. Auch die ganze Fehlerauswertung musste zu Fuß gemacht werden. Und wird der Pumpprozess durch ein Problem unterbrochen vergisst sie selbstverständlich auch die Restmenge, was so auch nicht sein sollte.

Die Dosiermengen waren anfangs nicht kalibrierbar, was aber im Endeffekt nicht an den Pumpen lag sondern an meinen Klempnern. Wie wir gelernt haben, arbeiten die Dosierpumpen nur dann richtig wenn es einen gewissen Gegen bzw. Vordruck gibt. Hätte man das Handbuch gelesen und die mitgelieferten Vordruckventile eingebaut hätte es diesbezüglich nie ein Problem gegeben. Oder wie der TÜV immer zu sagen pflegt :“Auch harte Männer müssen Betriebsanleitungen lesen!“.

Aber um Chemie nachzufüllen muss erst mal gemessen werden!

Die PH, Leitwert und Temperaturmessung habe ich über Produkte der Firma Endress und Hauser realisiert. Die Sensoren und deren Einbau sowie die Inbetriebnahme gestaltete sich relativ einfach und das Auslesen der CM 444 Messverstärker war über ProfiNet auch Problemlos möglich. Bei allen Fragen bezüglich Komponentenauswahl und Verwendung gibt es bei E&H ein tolles Team im Hintergrund.

Über den sehr guten Kontakt zu Endress und Hauser hat sich dann auch das Problem der Konzentrationsmessung im Phosphatierungsbecken lösen lassen. Für Konzentrationsmessungen haben sie die sogenannte Teqwave-Sonde. Das Messprinzip ist äußerst genial, die Sonde ermittelt die Schallgeschwindigkeit im zu messenden Medium und daraus werden Rückschlüsse auf die Konzentration gezogen. Dazu werden Proben mit der jeweiligen Konzentration eingeschickt und dort wird anhand dieser die Applikation im Sensorsystem erstellt.

Auch die Frischwassermenge in der 2ten Spüle zu bestimmen war relativ schnell und zu Abwechslung mal günstig gelöst. Ein Wasserzähler mit einem Impulsausgang je Liter war hierfür die Lösung.

Jetzt ging es aber an die schwierigste Messung, die im Entfettungsbecken. Es gab keine Alternative zur Titrationsmethode, da konnte auch die Tequwave nicht helfen. Also bin ich auf die Idee gekommen den Prozess der im Labor stattfindet nachzubauen. In Deutschland fand ich dann die Firma Cetoni, welche passendes Labor Equipment wie Spritzenpumpen, Ventile, Kapillarrohre und auch ein Spektrometer um den Farbumschlag zu messen vertreibt. Zusammen haben wir dann ein Konzept entwickelt und sie haben uns die Komponenten und deren Software verkauft. Die Software sollte dann genau so die die VISU auf dem IPC laufen. Die Kommunikation zwischen dem IPC und dem „Labor“ läuft über USB und die zur SPS über digitale und analoge IO´s.

Was auf dem Papier existierte fand seinen Weg dann auch in einen passenden Schaltschrank und dank 3D Druck wurden alle Halter und die Innenausstattung gefertigt. Ein Klimaanlage durfte auch nicht fehlen und da die Anlage zu schön war um sie hinter einer Blechtüre zu verstecken bekam der Schrank ein Sichtfenster und eine Innenbeleuchtung.

Cetoni lieferte mir die wunderbaren Komponenten aber die Programmierung des Ablaufes und die Auswertung der Spektroskopie musste ich selbst machen bzw. im Eigenstudium erlernen. Der Titrationsprozess wird von der SPS gestartet , von der Cetoni Software durchgeführt und das Ergebnis wird mittels einem digitalen Signal und einem Analogwert an die SPS rückgemeldet. Nur so am Rande erwähnt, ich bin gelernter Elektroinstallateur und kein Studierter und hab das trotzdem alles hin bekommen, auch wenn es nicht ganz einfach war.

Bis jetzt haben wir also die Möglichkeit die Chemikalien zu Pumpen, die Messwerte zu erfassen, jetzt fehlt „nur noch der Ablauf“:

Für das Entfettungsbecken habe ich den Titrationsvorgang eigentlich schon oben beschrieben, aber hier nochmal zur Vollständigkeit. Am HMI wird ein Messintervall eingestellt, nach dessen Ablauf die SPS ein Signal an die Labor-Software sendet um den Messprozess zu starten. Zuerst wird eine Probe aus dem Becken gezogen welche mit destilliertem Wasser im Rührbehälter verdünnt wird. Dazu wird dann noch ein Indikatorstoff und ein Aktivator gemischt. Zu der Flüssigkeit wird der Titrierflüssigkeit hinzugegeben, und nach Beimischung 1ml wir das Gebräu durchs Spektrometer gejagt um zu sehen wie sich die Farbe verändert hat. Ist der Farbumschlag vollständig wird der Titrationswert, also die Anzahl der Tropfen, analog an die SPS übergeben welche dann die Nachdosierung übernimmt. Nachdem die Messung vollendet ist hebe ich noch einen Spülgang für das gesamte Labor gebastelt.

Nachdem ich euch mit den groben Details um das 20 k€ Cetoni Labor gelangweilt habe traue ich mich es euch gar nicht richtig zu sagen, aber die Mario Brothers sind drauf gekommen, dass es ihnen genügt die Chemie zyklisch festgelegt nachzuimpfen . Also bekam die Oberfläche am HMI die Möglichkeit darauf umzuschalten.

Kommen wir nun zum Phosphatierungsbecken. Dort sollte sich die Dosierung ja nach dem PH-Wert und der Konzentration richten. Vereinfacht gesagt ist es nun so geworden, dass es nach dem neu ansetzen des Beckens eine gewisse Mindestkonzentration geben muss und ab da an wird nach dem PH-Wert geregelt bis eine maximale Konzentration erreicht ist, bis das Becken wieder geleert werden muss. Zur Zeit ist es so dass bei einem PH-Wert großer 5,2 eine gewisse Menge der Chemikalie 1 und im Verhältnis Chemikalie 2 eingespritzt wird, dann läuft eine Durchmischungs- und Reaktionszeit von 5 Minuten ab, danach wird neu gemessen und wieder nachdosiert bis wir unter einem PH-Wert von 4,8 liegen.

Spüle 1 war von der Messtechnik her ganz einfach gestaltet, eben mit dem bekannten CM444 Messverstärker und den dazugehörigen Sensoren. Leider hat es sich gezeigt das es dort aufgrund der Wassertemperatur zur Bakterienbildung kommt die bis jetzt nur chemisch entfernt werden können. Mein Ansatz eine UV Entkeimung zu benutzen hat zwar die Standzeit verlängert aber das Problem nicht aus der Welt geschafft. Die nächsten Schritte wären dann eine Thermische oder eine Ozondesinfektion zu versuchen.

Spüle 2 bekam den erwähnten Wasserzähler. hierbei musste ich nur im Programm feststellen wann eine Befüllung startet bzw. dann auch endet. Dafür habe ich nur das Signal der Wasseruhr . In weiterer Folge möchte ich dass dann mal durch einen SM6000 Wasserzähler von IFM umbauen der dann via IO Link mit der SPS kommunizieren soll.

Toleranzen, Haltbarkeit, Referenzmessungen und anderes Gedöns sowie Befindlichkeiten

Da sich das ganze Projekt ziemlich lange hin gezogen hat war vieles schwierig, vor allem auch emotional. Es wollte irgendwie keiner die Verantwortung für den automatisierten Prozess übernehmen, die Mario Brothers misstrauten aus „Gründen“ der Sensorik und den Pumpen. Weswegen ich ein halbes Jahr lang täglich Referenzmessungen durchgeführt habe um die Plausibilität und das Langzeitverhalten der Sensorik zu ergründen sowie das Wechsel und Kalibierintervall der PH-Elektroden festzulegen. Der Wunsch war eine Genauigkeit von +-0,1 PH zu haben, wobei Endress und Hauser meinte, das wir die Sonden dann alle 3 Tage Kalibieren müssen und das wollte ja auch keiner. Unsere Chemie ist halt zu Teil aggressiv, zum Teil anhaftend , was ich mit Spüldüsen beheben wollt, was sich aber nicht als notwendig erwiesen hat. Da so eine Elektrode doch 380€ kostet habe wir Versucht sie in 3Mol KCL Lösung zu regenerieren, was aber nicht wirklich viel gebracht hat. Somit kalibrieren die Kollegen sie regelmäßig und und nach einem halben Jahr werden sie einfach entsorgt. Es gibt auch Einflüsse eingeschleppter Chemie über die Bauteile welche nicht eindeutig erforscht sind und nach dem ganzen Aufwand muss ich zum PH-Wert messen sagen, dass es in der verlangten Genauigkeit eher ein Kaffeesudlesen ist als eine zuverlässige Messung ist. Ebenfalls haben auch Temperaturen eine Einfluss auf die Messung. Weiters gab es, bis ich damit angefangen habe, auch bei den Arbeiten im Labor nie ein zweites Referenzmessgerät was auch wieder Fragen zu dem Ganzen aufgeworfen hat. Da keiner von unseren Kollegen ein Chemiker ist sind wir auf die Anweisungen der Chemiehersteller angewiesen und ob das alles so ist wie der sagt ist auch fraglich. Im Grunde gibt’s nur eines das bei der Sache fix ist, der Lack muss 30 Jahre am Bauteil halten. Das System ist jetzt seit 3 Jahren im Einsatz und es gibt immer noch hier und da Überraschungen die es nötig machen etwas anzupassen.

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